Republica 2019: Wohltuender als ein Kneippbad
Und auch ziemlich spannend
Nein, die Rede ist nicht vom Wellnessurlaub in Tölz, sondern von der größten Digitalkonferenz Europas. Die Republica, im stillgelegten Berliner Postbahnhof der Netzgemeinde ein würdiges Ambiente bietend, fand dieses Jahr unter dem Motto „tl;dr“, Internetslang für „too long; didn’t read“, statt. Das klingt jetzt fast zu cool, um verständlich zu sein, oder? Drum sei schon an dieser Stelle verraten: Die Konferenz bot Medienmachern und -kritikern mehr, als das obskure Motto mit dem Sonderzeichen vermuten lässt. Aber der Reihe nach.
„Too long; didn’t read“ bezieht sich auf die immer kürzer werdende Aufmerksamkeitsspanne beim Medienkonsum. Auch, aber nicht nur, versursacht durch digitale Medien. An und für sich stellt sich damit noch kein Problem dar: Liest man halt weniger. Doch durch Verkürzung und Zuschneiden von Ereignissen und Zusammenhängen auf Extreme – Mr. Trump und sein bester Kumpel Twitter machen’s vor – geht die öffentliche Debatte – so die Veranstalter der Republica – immer mehr zulasten der Zwischentöne, der Differenzierung und des Abwägens. Da fühlen auch wir als Medienschaffende uns abgeholt. Denn auch wir stehen täglich vor der Herausforderung Inhalte so zu verpacken, dass sie informativ und aufmerksamkeitsstark sind, aber auch gelesen – pardon, geklickt – werden.
re:publica zelebriert die Nebensätze
Entfachen sollte sich während der drei Konferenztage im Gegenzug der „Long read“, die Langhaftigkeit des Arguments. Nachdem sich die Digitalhelden in Sneakern und Wollmütze bei Kaffee und Eröffnungsrede des Bundespräsidenten darauf einschworen, ging es auch schon los: Anhand diverser Keynotes, Podiumsdiskussionen und Workshops sollten Besucher einmal tiefer in die komplexen Herausforderungen der Digitalisierung einsteigen dürfen. Ein Luxus heutzutage, zählen doch auch unsere Tage nur 24 Stunden und das bei schier nicht abreißen wollender Informationsflut.
Mal ganz exemplarisch: Veranstaltungen wie „Fairness and Competitiveness in a Digitised World“, „Identifikation von Bullshit und Wert“ oder „The Artificial Lover: Our Intimate Future with Machines“ luden zum Zuhören, Nachdenken und Widersprechen ein. Ein bisschen Heidegger hier, ein bisschen Adorno da. Zusammen mit den Zuckerbergs und Elon Musks unserer Zeit weitete sich der Blick über aktuelle und konkrete Themen zu gesellschaftlichen Debatten aus. Ein Hauch von 68er Feeling kam bei den eher politisch orientierten Panels, wie „Cyberwar, hybride Kriegsführung, Desinformation – Auseinandersetzung zwischen Machtblöcken im digitalen Raum“ auf. Ach ja, Edmund Stoiber und Eko Fresh waren auch da.
Die Macht der Daten
Zwar gingen aufgrund der Vielfalt der Themen, Sessions und Speaker auch hier Zeitnot und Hetze Hand in Hand mit Neugier und Streitlust, doch dank der fabelhaften Organisation (selbstverständlich bietet die Republica diverse Apps zur Programmzusammenstellung an) fühlten wir uns trotzdem in der Lage, uns eingehend mit den Hintergründen der Themen zu beschäftigen, die unsere Welt und unsere Arbeit derzeit ausmachen. Wie wird die Arbeit der Zukunft vor dem Hintergrund der künstlichen Intelligenz aussehen? Wird mit 5G wirklich Milch und Honig fließen? Und hat derjenige Macht, der Daten hat? Oder hat der Daten, der Macht hat?
Wie die SZ schrieb: Ob Digitalpolitik, Zukunft der Arbeit und Spätkapitalismus, Klimaschutz oder Strategien gegen wachsende Feindseligkeit – all das ist kaum voneinander zu trennen. Und dadurch drängte dieses Jahr eine Frage in den Vordergrund: Wer hat eigentlich die Macht – und damit auch die Macht, etwas zu verändern?[1]
Auch, wenn wir in drei Tagen keine Lösung für all diese Fragen gefunden haben – es tat wahrhaft gut, sich damit zu beschäftigen und bei der Diskussion um unsere Zukunft zu partizipieren. Am Ende der drei Tage allerdings, sind wir reif für die Wanne.
Folgen Sie uns auf Twitter: @AkimaMedia
Infos zur re:publica finden Sie hier: https://19.re-publica.com/de
[1] https://www.sueddeutsche.de/digital/republica-thema-klimawandel-kapitalismus-1.4436186