Zu Besuch auf der größten digitalen Bildungsmesse in Europa
Stresstraining in der Virtual Reality, Inhalte, die über sich selbst Bescheid wissen, und eine emotionale Schnitzeljagd – die Learntec 2020 in Karlsruhe hatte einiges an innovativen Lerntechnologien für Unternehmen zu bieten. Der Grundtenor dabei: Lernbereitschaft ist das A und O, sonst hilft auch die beste Technologie nichts.
Unsere Arbeits- und Lebenswelten werden immer technischer und komplexer – wer soll sich da noch zurechtfinden? Wie können Unternehmen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter mit neuen Technologien auch umgehen können? Welche Rolle spielen Emotionen und wie lassen sie sich gezielt zum Lernen nutzen? Um auf diese und weitere Fragen Antworten zu finden, haben sich in Karlsruhe auch in diesem Jahr wieder 411 Aussteller und mehr als 15.600 Fachbesucher auf der Learntec getroffen – der größten digitalen Bildungsmesse in Europa.
„Man muss nicht alles wissen, nur wissen, wo man es findet.“
Auf insgesamt acht Themen-Areas konnten Besucher sich mit dem Neuesten vom Neuen in Sachen Lerntechnologie vertraut machen. Zwischen VR-Brille und KI-gestützter e-Learning-Plattform war die Botschaft dabei im Themenfeld Beruf eindeutig: Sowohl Unternehmen als auch Mitarbeiter sind gefordert, wenn der Einsatz von Learntec gelingen soll. Angesichts der Informationsflut unserer modernen Welt, die uns tagtäglich zu überrollen droht, gilt dabei, wie es Irene Oksinoglu, Head of FutureWork bei Otto, formuliert: „Man muss nicht alles wissen, nur wissen, wo man es findet.“ Es geht also nicht (nur) darum, Mitarbeitern Wissen zu vermitteln, sondern ihnen vielmehr zur rechten Zeit Zugriff auf die jeweils notwendigen Informationen zu geben.
AR- und VR-Brillen auf dem Vormarsch
Wie das funktionieren kann, zeigt T3. Das Unternehmen stellt sogenannte Smart Glasses her, die zum Beispiel Mitarbeiter in Industrieunternehmen bei der Wartung hochkomplexer Maschinen unterstützen. Die Augmented-Reality-Brille zeigt je nach Situation, welcher Arbeitsschritt an der Maschine notwendig ist – und der Mitarbeiter hat die Hände frei, sodass er diesen zeitgleich mit der virtuellen Animation ausführen kann. Das dahinterstehende „Knowledge-Eco-System“ weiß also in gewisser Weise selbst über sich Bescheid und erkennt, welche Information benötigt wird (Smart Content). Der Mitarbeiter wiederum lernt ganz nebenbei nach dem Prinzip Learning-by-Doing.
Auf eine digitale Sehhilfe setzt auch der Verlag Dashöfer mit seiner Anwendung EasySpeech. Die VR-Brille des Unternehmens versetzt einen Mitarbeiter in einen virtuellen Konferenzraum, in dem er vor gelangweilten Kollegen und mit Störfaktoren wie Handyklingen einen Vortrag halten muss. Eine künstliche Intelligenz gibt anschließend Feedback über Redefluss, Wortwiederholungen oder Füllwörter. Es bietet sich hier also ein anonymer, geschützter Raum, in dem Vertriebsmitarbeiter oder Führungskräfte unter annähernd Realbedingungen ihre Rhetorikfähigkeiten trainieren können. Der Selbsttest zeigt: Die Brille einmal aufgezogen stellt sich nach ein paar Sekunden tatsächlich das Stressgefühl einer Präsentationssituation ein – Hut ab vor der VR-Technologie.
Lernsoftware berücksichtigt Emotionen und individuelle Interessen
Das Start-up Actionbound setzt hingegen auf das Spiel als Lern-Setting und rückt Emotionen als maßgeblich beeinflussende Lernfaktoren in den Fokus. Mithilfe des Tools lassen sich virtuelle Schnitzeljagden erstellen, bei denen Teilnehmer sich spielerisch Inhalte aneignen. Im Unterschied zu vielen anderen Gamification-Ansätzen, die Lerninhalte lediglich mit spielerischen Elementen versehen, legt das Team von Actionbound dabei aber großes Augenmerk auf eine dahinterliegende Story. Denn erst durch diese lassen sich Emotionen beim Spieler auslösen, die das Lernergebnis verbessern.
Einer ähnlichen Überlegung folgen auch Unternehmen wie Cornerstone. Die These: Menschen lernen am besten, wenn sie sich auch tatsächlich für ein Thema interessieren. Learning-Experience-Plattformen werden daher nach dem Vorbild von Youtube, Netflix und Co. gestaltet. Das bedeutet: Ein Algorithmus schlägt dem User basierend auf seinem Lernverhalten und angegebenen Interessen hochgradig personalisierte Lerneinheiten vor.
„Unternehmen sind auf gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen, die kritisch denken und problemlösungsorientiert handeln.“
Fazit: Jeder muss sich an die eigene Nase fassen
Im Fokus der Learntec stand ganz klar der Mensch und die Frage, durch welche Faktoren sich das Lernen in einer zunehmend komplexeren Umwelt günstig beeinflussen lässt. In Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality schlummert dabei enormes Potenzial und beide Technologien sind in Zukunft nicht mehr aus der Branche wegzudenken. Der Trend geht zudem dahin, Lernangebote situativ bereitzustellen, zu emotionalisieren und speziell auf den User abzustimmen – Stichwort Learning Experience.
Dabei ist Lernen aber nicht nur Selbstzweck. Unternehmen sind schlicht und einfach auf gut ausgebildete Mitarbeiter angewiesen, die kritisch denken und problemlösungsorientiert handeln. Wenn sie auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich sein wollen, müssen sie daher die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Auf der anderen Seite hat Lernen viel mit Aufgeschlossenheit und Offenheit gegenüber Neuem zu tun. Mitarbeiter sind also auch selbst dafür verantwortlich, Angebote aktiv zu nutzen – nicht nur für den Erfolg ihres Unternehmens, sondern auch um den eigenen Marktwert und Karrierechancen zu steigern und sich in einer immer komplexeren Arbeitsumwelt zurechtzufinden. Wenn sich Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen für Aus-, Fort- und Weiterbildung einsetzen, gewinnen alle Seiten – die dafür notwendigen innovativen Technologien gibt es bereits.