Der Spagat zwischen Familie und Beruf
„Die Qual der Wahl: Kind oder Karriere?“ „Wie lassen sich Kind und Karriere unter einen Hut bringen?“ oder „Kind und Karriere – kann das klappen?“ Unter solchen und ähnlichen Titeln erschienen in den vergangenen Jahren zahllose Artikel, Kommentare oder Ratgeber. Auch im öffentlichen Diskurs, in Podiumsdiskussionen oder als Workshop taucht das Thema vermehrt auf, denn bereits rund ein Drittel der Mütter, deren jüngstes Kind im Krippenalter von unter drei Jahren ist, arbeitet zumindest in Teilzeit, wie die Bundeszentrale für politische Bildung ermittelte. Alle Beiträge befassen sich damit, ob und wie es Eltern möglich ist, Kinder und Arbeitsleben nicht nur zusammenzubringen – oder dabei beruflich sogar erfolgreich zu sein, sprich: Karriere zu machen. Unzählige Umfragen und Statistiken, aber auch meine eigene Erfahrung zeigen: Vor dieser Herausforderung stehen in der Regel die Mütter.
Doch unabhängig von der geschlechtlichen Perspektive – im Endeffekt läuft es immer auf die gleiche Frage hinaus: Was sind meine Prioritäten? Was ist mir wichtig im Leben und wie kann ich dies bestmöglich erreichen? Dabei können sich sowohl Prioritäten als auch Ziele besonders durch Kinder über die Jahre stark verändern.
Exemplarisch werden in der Diskussion oft Frauen ins Feld geführt, die diesen „Spagat“ gemeistert haben, und als Mütter aktuell zum Beispiel in den DAX-Vorständen leitende Positionen einnehmen. Zu nennen wären hier beispielsweise Karen Parkin, die als Mutter einer Tochter Personalvorstand der Adidas AG ist. Oder Bettina Orlopp, Zweifach-Mutter und seit 2017 Mitglied des Konzernvorstands der Commerzbank. Aber auch in der PR-Branche gibt es leuchtende Beispiele, wie Franziska von Lewinski, Digital-Vorstand bei fischerAppelt. Sieht man davon ab, dass sie und andere Frauen immer noch die Ausnahme im deutschen Top-Management sind, so stehen viele Mütter doch zu Anfang vor ganz anderen Herausforderungen als jemand auf CXO-Ebene. Aus meiner persönlichen Erfahrung als Mutter zweier Kinder gibt es drei kritische Punkte bzw. Fragen, die man sich in einer ruhigen Minute stellen sollte, um seine eigenen Prioritäten setzen zu können:
1. (Wie) kann ich meine Rolle als Mutter (oder auch Vater) mit meinem Berufsleben, wie ich es bisher geführt habe, dauerhaft vereinbaren?
Es ist wohl jedem bewusst, dass sich der Alltag mit Kind stark verändert. Dies betrifft sowohl die Gestaltung der eigenen Freizeit als auch das Berufsleben. So ist die wichtigste Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Berufs und der Familie, also Kindern und auch dem Partner, zu finden. Dies gilt insbesondere in einer Führungsposition mit fachlicher und personeller Verantwortung. Es ist gerade diese Verantwortlichkeit, dieses „Sich-zuständig-fühlen“, sowohl für die Kinder zu Hause als auch für die Kollegen oder Mitarbeiter, welches die Waage ausschlagen lässt: Je nach Situation kann und muss dies in die ein oder andere Richtung geschehen. Dabei ist die Priorisierung das A und O – und genau das ist die Kunst. Es hilft vielleicht, sich von Anfang an klar zu machen, dass man den eigenen hohen Ansprüchen wahrscheinlich nicht immer auf allen Seiten zu 100 Prozent gerecht werden wird. Muss ich wirklich für den Kindergeburtstag tagelang organisieren, backen und vorbereiten? Muss ich wirklich jeden Tag bis 18 Uhr im Büro bleiben oder kann ich die Kinder an Tagen mit weniger dringenden Aufgaben auch schon mal um 14 Uhr abholen?
„Unabhängig davon, wann der Schritt zurück ins Arbeitsleben erfolgt: Er erfordert viel Disziplin, hohe Belastbarkeit, ein sehr gutes Zeitmanagement, Organisationstalent – und idealerweise ein Netzwerk aus Freunden und Familie, um auf kurzfristige Änderungen im Alltag einzugehen.“
2. Welche Kompromisse bin ich bereit einzugehen?
Es gibt die unterschiedlichsten Auffassungen und Ansätze darüber, welche Form und Dauer der Betreuung für welches Alter geeignet ist – sei es durch Krippe, Kindertagesstätte, Kindergarten oder durch eine Tagesmutter oder Großeltern. Immer stellt sich jedoch die Frage: Was ist für mein Kind und meine Familiensituation das Beste? Fakt ist, dass ein möglichst früher Wiedereinstieg in den Beruf hilft, den Anschluss nicht zu verlieren. Dies gilt sowohl für die fachliche Kompetenz als auch für die Planung seitens des Arbeitgebers, der eine „Lücke“ von einem Jahr natürlich leichter überbrücken kann, als volle drei Jahre Elternzeit. Auch die Unsicherheit, ob eine Mitarbeiterin überhaupt zurückkommt, erfordert natürlich eine andere Planbarkeit.
Unabhängig davon, wann der Schritt zurück ins Arbeitsleben erfolgt: Er erfordert viel Disziplin, hohe Belastbarkeit, ein sehr gutes Zeitmanagement, Organisationstalent – und idealerweise ein Netzwerk aus Freunden und Familie, um auf kurzfristige Änderungen im Alltag einzugehen. Das kann der Anruf aus dem Kindergarten sein, dass das Kind mit Fieber abgeholt werden muss, kurzfristige Kundenanfragen, die keinen Aufschub zulassen oder Dienstreisen zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt. Immer stellt sich die Frage: Worauf kann ich verzichten, wo kann ich Abstriche machen und was ist mir wirklich wichtig? Die Basis für alle Entscheidungen ist natürlich die Gewissheit, dass das Kind dort gut aufgehoben ist, wo es während der eigenen Arbeitszeit betreut wird.
3. Welche Flexibilität und Möglichkeiten bietet mir mein Arbeitgeber?
Als PR-Profis verlangt der Alltag mit dem Kunden ein gewisses Maß an beraterischer Flexibilität und Wendigkeit und die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einlassen zu können. Dies ist jedoch nichts im Vergleich zu einer Welt mit Kindern. Arbeitgeber können dies nun als Hindernisgrund empfinden, mangelnde Verfügbarkeit oder Flexibilität, Wirtschaftlichkeit etc. ins Feld führen, oder aber die neue Lebenssituation des Arbeitnehmers als Chance begreifen, diesen langfristig an sich zu binden. Gerade in Zeiten, in denen Fachkräfte mit Berufserfahrung und Top-Talente oft gesucht werden, ist ein familienfreundlicher Ansatz vielleicht sogar besonders wichtig und hilft, sich gegenüber Konkurrenten abzusetzen.
Flexible Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit im Home Office zu arbeiten und individuelle Absprachen bieten Eltern nötige Freiheiten, Sicherheit und Flexibilität – so dass sie sich während der Arbeitszeit voll und ganz auf ihren Beruf konzentrieren können. Umgekehrt wird wohl jeder Arbeitnehmer dann ebenfalls versuchen, ein Stück zurück zu geben und es irgendwie organisatorisch möglich machen, wichtige Termine und Aufgaben zu übernehmen, wenn es brennt.
Jeder Arbeitnehmer sollte die Chance haben, nach der Elternzeit wieder in die alte Position zurück zu kehren, wenn er es wünscht und es die Unternehmensstruktur hergibt – gegebenenfalls mit reduzierter Stundenzahl. Dies würde besonders hochqualifizierten Arbeitnehmern entgegenkommen. Denn mit steigender Qualifikation wächst bei vielen die Sorge, durch ein Kind berufliche Chancen zu verspielen. Ziel sollte es doch sein, dass sich irgendwann niemand mehr die Frage stellen muss: „Kind ODER Karriere?“